„Das erste Stadium ist wie normales Trinken, im zweiten fängt man an, ungeheuerliche, grausame Dinge zu sehen, aber wenn man es schafft nicht aufzugeben, kommt man in das dritte Stadium, in dem man Dinge sieht, die man sehen möchte, wundervolle, sonderbare Dinge“. Oskar Wilde
Van Gogh, Hemingway, Wilde, Rimbaud, Gaugin. Sie alle haben mindestens zwei Dinge gemeinsam: Sie waren Genies und passionierte Absinth-Trinker. Am heutigen Tag des Absinths tauchen wir deswegen tief ein in die berauschende Wirkung des psychodelischen Heilmittels voller Kräuter wie Wermut und Anis. Mit der Geschichte des Absinths gehen wir dem Mythos auf den Grund und betrachten die Grüne Fee mit der magischen Wirkung auf Körper und Geist im Laufe der Zeit. Was ist Absinth eigentlich, was macht ihn so besonders und warum war es lange verboten, sich an dieser wundervollen Spirituose zu berauschen? Diesen Fragen gehen wir wie immer den höchsten wissenschaftlichen Ansprüchen genügend auf den Grund, schauen uns die Rezepturen der vergangenen Jahrhunderte an und lobpreisen die Grüne Fee mit einigen Rezepten für geniale Drinks! Also packen wir das Reservoirglas aus, legen unsere silbernen Absinthlöffel zurecht und füllen die Absinthfontäne mit Eiswasser. Heute trinken wir Absinth!
Die Geschichte des Absinths Wer hat Absinth erfunden?
Die Geschichte des Absinths beginnt Mitte des 18. Jahrhunderts in der Schweiz, genauer im Val de Travers. Zunächst wurde Absinth als Heilmittel für allerlei körperliche und geistige Gebrechen eingesetzt und enthielt diverse Heilkräuter. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die ersten Rezepte vor allem aus Apotheken stammen. Früh belegt ist zum Beispiel der Konsum von mit Wermut versetztem Wein schon vorher bei Hildegard von Bingen. Die erste Absinth-Brennerei ist für das Jahr 1797 belegt. Je nach Rezeptur half Absinth bei Magenproblemen, Verstimmungen oder Angststörungen und hatte als Medizin also durchaus seine Berechtigung. Es waren jedoch bestimmte (un)erwünschte Wirkungen, die ihn im Laufe der Zeit als Rauschmittel besonders attraktiv machten. So entstand eine regelrechte Trinkkultur vor allem in der Künstler-Szene, die neben Absinth auch das Opiat Laudanum in rauen Mengen genoss. Kreativität will eben gefördert werden. Doch was ist eigentlich drin im Absinth?
Die Geschichte des Absinths: Woher kommt der Name Grüne Fee?
Im Lauf der Jahre entstand der Mythos Absinth, der von seinen Jüngern auch die Grüne Fee genannt wird. Einen besseren Namen kann es gar nicht geben, denn alles, was den Absinth so besonders macht, kann aus ihm abgeleitet werden. Die Farbe natürlich unterscheidet ihn von anderen Spirituosen. Das mal mehr, mal weniger ausgeprägte Grün kommt durch das in den Kräutern enthaltene Chlorophyll und die Lagerung. Pontischer (vom Schwarzmeer stammend) Wermut, Minze, Melisse und Ysop sind die prägendsten Heilkräuter und sorgen sowohl für die Farbe als auch den Geschmack. Und warum die Fee eine Rolle spielt? Komm schon… na gut, ich erkläre es sicherheitshalber: In Wermut enthalten ist ein ganz besonderes ätherisches Öl mit märchenhaften Zauberkräften: das Nervengift Thujon. Durch das Treffen mit der Grünen Fee öffnete sich ein Tor zu einer Fabelwelt, das viele nur zu gerne durchschritten.
Die Geschichte des Absinths: Der Rausch durch Thujon nur ein Mythos?
In der Mitte des und dem ausgehenden 19. Jahrhundert erreichte die Popularität von Absinth im blühenden Frankreich ihren Höhepunkt, auch dank seiner populären Fans. Längst hatte er seinen Platz in Kunst und Kultur etabliert und galt vor allem in hedonistischen Kreisen als spaßige Möglichkeit des Wegknallens. Die Wirkung kann am ehesten als psychodelisch beschrieben werden mit halluzinogenen Ausschlägen in Richtung schöne rosa Elefanten oder in zunehmenden Maße Psychose, Depression und körperlicher Langzeitschäden wie Blindheit und Organversagen. Als verantwortlich für diese erwünschten und unerwünschten Geschenke der Grünen Fee gilt das erwähnte Thujon (und andere Stoffe wie Methanol, Streckmittel und Chemikalien). Falsch dosiert bekam man durch den auch Absinthol genannten Stoff alle negativen Konsequenzen zu spüren, die dauerhafter oder hoch dosierter Drogenkonsum eben mit sich bringt: Wahnvorstellungen, Psychosen, Epilepsie usw. Neuere Studien untermalen dies zwar, führen aber auch den hohen Alkoholgehalt, Streckmittel und schlechte Produktionschargen als Gründe für die negativen Wirkungen an.
Die Geschichte des Absinths: Was ist Absinth und was kommt rein?
Absinth gehört zu den Spirituosen mit dem höchsten Alkoholgehalt. Historische Absinthe (so nennt man alle ohne Farbstoffe und nach alter Methode destillierten Formen) weisen zwischen 45 bis zu 78 % Alkohol auf. Da er mit Wasser verdünnt wird, relativiert sich das zwar etwas, ist aber eine Ansage. In den Neutralalkohol kommen immer Wermut, Anis und Fenchel, werden eingeweicht (mazeriert) und anschließend destilliert. Es folgen die farbgebenden Kräuter, in der Regel pontischer Wermut, Ysop, Minze und Melisse. Geschmack und Farbe auszubalancieren ist eine der größten Herausforderungen des Brennens überhaupt. Absinth gilt auch deshalb als Meisterwerk der Brennkunst. Heute wird Absinth nach der alten Methode nur für die höherpreisigen Sorten angewendet. Die meisten anderen sind eingefärbte Plörre mit Aromastoffen, von denen man am besten die Finger lässt.
Die Geschichte des Absinths: Verbot und Rückkehr
Das Verbot: Ab dem ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert diagnostizierten Ärzte weltweit eine neue Suchterkrankung namens Absinthismus. Zunächst galt Thujon als Auslöser, doch neuere Studien machen den hohen Alkoholgehalt verantwortlich, sodass der fancy Absinthismus eigentlich nichts anderes als schnöder Alkoholismus ist. Dennoch sahen sich viele Länder gezwungen, dem übermäßigen Konsum Einhalt zu gebieten. Wie populär und salonfähig Absinthkonsum vor allem in Frankreich war, belegt die sogenannten Grüne Stunde (heure verte). Spätestens ab den 1860er Jahren galt es als besonders trendy, zwischen 17-19 Uhr täglich Absinth zu konsumieren… keine gute Idee, wie sich zeigte. Letztlich war es eine Familientragödie, die der finale Auslöser für das Verbot von Verkauf und Herstellung der Grünen Fee war. Der Weinbergarbeiter Jean Lanfray, ein schwerer Alkoholiker, ermordete im Alkoholrausch seine schwangere Frau sowie 2- bzw. 4-jährigen Töchter. Er trank neben Unmengen Wein auch einige Gläser Absinth. Zunächst Verbot Belgien Absinth, dann die Schweiz per Volksentscheid. Frankreich folgte 1914. Aus der heutigen EU waren Spanien und Portugal die einzigen Länder ohne das Verbot. Und in Frankreich trank man zur Grünen Stunde dann halt Pastis…
Die Rückkehr: Die Gründung der EU ebnete schließlich den Weg für den Absinth, reglementiert zurück in den Ausschank zu kommen. Vor allem popkulturelle Errungenschaften wie Bram Stokers Dracula 1992 und From Hell aus dem Jahr 2001 ließen die Nachfrage wieder steigen und führten seit den 80ern zu Klagen diverser Brennereien in den EU-Ländern. Da Spanien und Portugal als Mitglieder Verkauf und Produktion erlaubten, musste den Klagen in der Regel stattgegeben werden. In Deutschland etwa wurden 1992 Thujon und Wermut wieder für die Produktion von Lebensmitteln unter bestimmten Bedingungen erlaubt. Man reglementierte den Thujon-Anteil auf 5 mg/l bei bis zu 25 % Alkohol, 10 mg/l bei darüber liegendem Alkoholgehalt und 35 mg/l in Bitterspirituosen wie beispielsweise Absinth. Das machte Absinth in den 90ern zu einem absoluten Hypegetränk. Nach einer kleinen Pause kam Absinth um 2010 wieder in Mode und hält sich seitdem, wenn auch noch immer als Nischenprodukt.
Die Geschichte des Absinths: So trinkt man Absinth
Das Schweizer Ritual: In der Schweiz nimmt man das Absinthtrinken so, wie man es in Zeiten des Verbots am liebsten tat. 2-4 cl ins Glas und kaltes Wasser im Verhältnis 1:1 bis 1:5 drauf. Weniger eindrucksvoll, aber effektiv.
Das tschechische Feuerritual: Ja man… mit allem drum und dran. Aber: Leider ist die historische Verbindung zwischen dem Feuerritual und Absinth ein Mythos. Lange galt die Vorstellung, Manet und Degas saßen mit Löffel und Fontäne im Salon als Symbol für den Tanz mit der Grünen Fee. In Wahrheit entwickelten findige Absinthbrenner in Tschechien das Feuerritual als Marketing-Gag, was ich mich bis heute zu glauben weigere! Platziere ein oder zwei Stück Würfelzucker auf einen Absinthlöffel, tauche ihn in ein mit 4 cl feinstem Absinth befülltes Reservoirglas, lasse die Flammen ihr Werk tun und warte, bis der Zucker blubbernd karamellisiert. Dann lösche die Flamme mit sanftem Hauch und lass den Löffel leicht gekippt ins Glas gleiten. Kurz umrühren und Eiswasser im Verhältnis 1:3 dazu… das muss doch historisch sein! Und hey: Ist es auch… beinahe zumindest.
Das französische Ritual: Das einzige, was die Stars ihrer Zeit vermutlich nicht taten, ist das Anzünden aus dem Feuerritual. Stattdessen steht das Reservoirglas unter einer wunderschönen Absinthfontäne aus Glas und Metall. Auf dem Glas ruht der Löffel mit Würfelzucker. Aus einem von 4-8 Ventilen tröpfelt das Eiswasser auf den Zucker, diesen auflösend, langsam ins Glas. Ein echtes Ritual eben voller Stil und Anmut, das mit einem großen Finale endet. Eine Mischung aus dem französischen und dem Feuerritual ist, ganz nebenbei, meine mit Abstand liebste Methode. Einerseits kommt der leichte Karamellgeschmack des Feuerritual richtig gut, andererseits ist man Teil der erhabenen Tradition des Absinthtrinkens.
Zum Tag des Absinths: Unsere Absinth-Cocktails
Nachdem du nun alles über die Grüne Fee weißt und in der Lage bist, Absinth richtig zu servieren und zu genießen, kannst du einen Schritt weiter gehen. Auf unserer Cocktailkarte haben wir uns in der letzten Zeit immer wieder dem Absinth als Teil von Cocktails zugewandt. Gönn die gerne ein oder zwei davon… diese hier zum Beispiel:
Sorry übrigens, wenn dich die Story gelangweilt hat… Aber wir reden einfach gerne über Essen und Trinken, da kann das schon mal etwas ausufern. Das machen wir übrigens regelmäßig zu wirklich wichtigen Feiertagen wie dem Tag des Absinths. Wenn du Lust hast, schau in unseren Food-News und der Gut-zu-Wissen-Rubrik vorbei. Dort findest du weitere Storys wie die Geschichte des Absinth zum Nachlesen:
And if, at some time, on steps of a palace,
in the green grass of a ditch,
in the bleak solitude of your room,
you are waking and the drunkenness has already abated,
ask the wind, the wave, the stars, the clock,
all that which flees,
all that which groans,
all that which rolls,
all that which sings,
all that which speaks,
ask them, what time it is;
and the wind, the wave, the stars, the birds, and the clock,
they will all reply:
“It is time to get drunk!” Charles-Pierre Baudelaire
Peace!
Tipps und Quellen: Wer mehr Geschichten rund um den Absinth lesen möchte, dem empfehle ich “Absinthe – die Wiederkehr der grünen Fee. Geschichten und Legenden eines Kultgetränkes”, herausgegeben und geschrieben von Mathias Bröckers, Chris Heidrich, Roger Liggenstorfer. Erschienen 2006 beim Nachtschatten-Verlag. Natürlich gibt es noch weitere Quellen, aber das Buch hatte ich halt zu Hause…