Wenn Pilze auf Kürbis treffen, wenn Birnen und Quitten reif sind oder wenn Vitaminbomben wie Orangen vermehrt ausgepackt werden, zeigt sich einer von seiner geschmackvollsten Seite: der Herbst. Die Jahreszeit zwischen Sommer und Winter hat freilich nicht nur auf dem Teller opulente Zutaten mit satten Farben zu bieten. Wer tief genug ins Glas schaut, riskiert zwar einen möglichen Kater am nächsten Morgen, bekommt aber auch feine Aromen für den Gaumen. Etwa den Herbst-Drink Fennel Blood and Sand, der durch einen Whiskey mit Fenchel und rotem Wermut sowie Kirschlikör und Orangensaft gleichermaßen wuchtig und geschmeidig den Rachen hinunterläuft.
Einer, der sich mit Drinks, die einen heißen Herbst versprechen auskennt, und zu dessen Lieblingsdrinks der Fennel Blood and Sand zählt, ist Andreas Andricopoulos. Der 37-Jährige ist seit 2017 Bar-Manager des Sternerestaurants Golvet in Berlin. Andricopoulos, griechische Wurzeln, kommt aus einer Gastronomen-Familie, hat einst Restaurant- und Hotelfachmann im Rheinland gelernt und sein Können bereits auf einem Kreuzfahrtschiff unter Beweis gestellt. Sein Spezialgebiet sind Drinks mit Aquavit. Eine für Andricopoulos unterschätzte, weil facettenreiche Spirituose.
Wir haben mit Andricopoulos über seine Faszination für Aquavit, schwarze Drinks und vermeidbare Fehler bei der Cocktail-Zubereitung gesprochen. Außerdem erklärt er, was Deutsche noch über Trinkkultur lernen können. Das Gespräch beginnt, passend zur Jahreszeit, aber mit den kulinarischen Aromen im und abseits des Glases.
EAT CLUB: Herr Andricopoulos, was mögen Sie kulinarisch am Herbst?
Andreas Andricopoulos: Den Herbst verbinde ich immer sehr mit dem Kürbis. Leichte vegetarische oder vegane Gerichte kann man damit super aufpeppen. Auch in Drinks schmeckt er hervorragend. Die Kastanie kommt jetzt wieder, ebenfalls großartig für Drinks. Essen und Trinken finden für mich ohnehin auf demselben Level statt. Alles, was ich essen kann, kann ich auch in einem Drink verarbeiten. Bis auf Zwiebel und Knoblauch vielleicht.
Welche Aromen in Drinks lösen den Sommer nun so langsam ab?
Es gibt verschiedene Übergangsaromen. Dazu gehören für mich Kürbis, Blutorange und Estragon. Diese Aromen schmecken gleichzeitig frisch, aber entfalten ihren Geschmack ebenso für die herbstliche Jahreszeit. Granatapfel zähle ich auch dazu, eine Frucht, die sommerlich wie winterlich zugleich ist somit perfekt zum Herbst passt.
Wie übersetzen Sie die Stimmung der Jahreszeit in einen Drink?
Ich lasse mich vom Essen inspirieren. Manchmal hat man Aromen, mit denen man über mehrere Wochen arbeitet. Wir haben letztes Jahr einen Milk Punch mit Kürbis gemacht. Dafür haben wir den Kürbis scharf angebraten, mit Kräutern gewürzt und in den Ofen geschoben. Anschließend haben wir ihn für einen Tag in Orangenlikör eingelegt. Dadurch bekam der Milk Punch eine orangige Kürbisnote.
Aus dem Orangenlikör mit Kürbis kann man aber auch klassische Drinks wie einen Margherita machen: Tequila, ein bisschen Limette als Säure und Salz, dazu etwas von dem Kürbis-Orangenlikör – und man hat einen großartigen Drink. Das kann jeder Gast oder Genießer leicht identifizieren. Gestandene Drinks, die ein wenig abgewandelt werden.
Was versteht man unter einem Milk Punch?
Ein Milk Punch ist ein Drink mit geklärter Milch. Die Milch flockt auf, dabei trennen sich Eiweiß-Proteine von der Milch. Das bindet Trieb-, Bitter- und Farbstoffe und ist wie ein natürlicher Filter durch die Eiweißdecke, die sich bildet. Die daraus tropfende Flüssigkeit ist runder und weicher und bekommt somit ein intensiveres Aroma.
Worauf achten Sie besonders, wenn Sie Drinks kreieren?
In erster Linie auf die Balance. Es darf nicht zu langweilig sein, sollte aber auch nicht zu verrückt sein, sonst verstehen die Leute es nicht. Ein guter Drink muss für mich bodenständig sein, aber wiederum nicht zu simpel. Bei einer Gurke im Drink würde heutzutage keiner mehr sagen: Oh, eine Gurke! Das war vielleicht vor zehn Jahren der Fall. Beim Kürbis ist das immer noch etwas anderes. Ein Drink mit Kürbis, Orange und Limette ist durch den Kürbis kreativ, durch die anderen Zutaten aber auch bodenständig. Bodenständig mit einem kleinen Twist drauf – das ist genau mein Stil als Barkeeper. Mir ist außerdem die Optik wichtig. Klare Drinks mag ich am liebsten, aber es muss auch gut aussehen. Ein schwarzer Drink ist nicht sexy.
Neben dem Kürbis gibt es im Herbst noch eine ganz Reihe weiterer spannender Obst- und Gemüsesorten. Wie steht es mit Birnen?
Birnen im Drink sind immer eine Frage der Qualität beziehungsweise Reife. Es gibt harte und weiche. Wenn man einen guten Drink machen möchte, braucht man in jedem Fall eine weiche. Birnen in Alkohol einzulegen ist immer gut. Eine Birne in weißem Rum einzulegen, eine Woche stehen zu lassen und anschließend zu filtern wirkt sich in einem Drink geschmacklich fantastisch aus. Die Birne mit Minze zu kombinieren passt immer zusammen.
Auch Beeren werden besonders gern für Drinks genutzt.
Hier ist die Lacto-Fermentation sehr interessant: Beeren und Salz in einem geschlossenen Gefäß, beispielsweise ein Weck-Glas, einlegen und fermentieren lassen. Die Beeren sollten dafür auch nicht kaputt oder matschig sein. Es bildet sich ein Salzmantel, der die Beeren konserviert. Der dabei entstehende Geschmack erinnert mich immer ein wenig an saure Gürkchen, die fruchtig sind. Diese Beeren lassen sich wunderbar für Drinks nutzen.
Die Barszene blüht nach Monaten der Pandemie langsam wieder auf. Welche Trends lassen sich derzeit beobachten?
Bottle-Drinks sind ein Thema, Drinks to go, natürlich der Online-Verkauf. Alkoholfrei ist der Obertrend, das ist noch stärker geworden. Ich würde sagen, dass alkoholfrei das neue Vegan ist. Vor zehn Jahren hättest du im Supermarkt nicht viele vegane Produkte gefunden. Heutzutage bekommst du dort nahezu alle Ersatzprodukte, die du dir vorstellen kannst. Wenn du vor fünf Jahren in einer Bar etwas Alkoholfreies bestellt hast, hast du eine Limonade bekommen. Mittlerweile bekommst du kreative Drinks mit einer Bandbreite an alkoholfreien Spirituosen. Die Auswahl an alkoholfreien Bieren und Schaumweinen ist teilweise auf dem Niveau von alkoholischen Getränken.
Sie verwenden häufig Aquavit in Ihren Drinks. Was fasziniert Sie daran?
Aquavit ist eine sehr unterschätzte Spirituose. Sie kommt aus Nordeuropa. Meist besteht Aquavit aus einem Grundalkohol, der nochmal mit Kümmel, Sternanis, Dill oder anderen Kräutern weiterbearbeitet wird. Es ist von der Grundthematik her wie ein skandinavischer Gin, nur das dort kein Wacholder enthalten ist. Es gibt klaren und gelagerten Aquavit. Der gelagerte geht mehr in die Richtung gewürzter Rum oder gewürzter Whiskey. Aquavit hat eine lange Tradition, ist ein ehrliches Handwerk und sehr facettenreich im Geschmack. Man kann klassischen Drinks damit einen ganz neuen Twist mit dezenter Note geben. Unsere Bar hat deutschlandweit die meisten Aquavits. Wir haben 67 zur Auswahl – in Deutschland selbst kann man nur rund 40 verschiedene kaufen.
Welche Spirituosen beziehungsweise Zutaten für einen schnellen, aber auch anspruchsvollen Drink sollte ich immer in meiner Homebar haben?
Das A und O für zu Hause ist gutes Eis. Ein guter Eiswürfel ist es dann, wenn ich ihn mit der Hand nicht kaputtmachen kann. Gläser sind nebensächlich. Man braucht immer eine Süßungsquelle in Form von Zuckersirup, Honig, Agavendicksaft – am besten auch flüssig. Man benötigt eine Säure, eine Limette oder Zitrone sollte man immer zu Hause haben. Geklärter Zitronensaft, der sich ewig hält, geht natürlich auch. An Spirituosen sollte man Wodka, weißen Rum, Tequila, Gin und Whiskey auf Vorrat haben. Damit spricht man bereits eine ganze Bandbreite an Menschen an. Einen Gin Sour beispielsweise kann man dann leicht aus 4 cl Gin, 1 cl Agavendicksaft, 2 cl Zitronensaft und ein paar TK-Früchten machen. Alles in den Shaker geben, gut durchschütteln und im Glas servieren.
Welche Fehler werden zu Hause häufig gemacht?
Wenn man schlechtes Eis hat, kann man keinen guten Drink machen. Wenn das Eis zu kalt ist, kann es schwierig werden. Eis ist die größte Fehlerquelle.
Was können wir Deutsche noch über Trinkkultur lernen?
In Deutschland beschäftigt man sich kaum mit den Produkten, die man trinkt. In Deutschland ist es oft so, dass Leute reinkommen und einen Gin Tonic bestellen. In anderen Ländern heißt es dagegen: Ich nehme einen Tanqueray Tonic oder ich nehme einen Johnnie Walker Cola oder einen Chivas Cola. In Deutschland könnte das Bewusstsein für die Produkte ausgeprägter sein.
Zum Schluss noch ein kleiner Ausblick auf den Winter: Welche Drinks empfehlen Sie in der ganz kalten Jahreszeit?
Ein leckerer heißer Drink lässt sich ganz einfach aus naturtrübem Apfelsaft, Jack Daniels und einer Zimtstange zubereiten. Einfach alles in einen Kochtopf geben und langsam heiß werden lassen. In der alkoholfreien Variante funktioniert das wunderbar mit stark gebrautem schwarzem Tee. Für mich können winterliche Drinks zudem auch cremige Drinks sein. Dill, Aquavit, dunkler Schokoladenlikör, Schokoladengeist und Sahne: Das ist für mich ebenfalls eine großartige Kombo.
Herbst-Drink 1: Fennel Blood and Sand
- Für den Whiskey bereits vorab: zu 1 L Whiskey 3 EL Fenchelsamen hinzugeben und 3 Tage ziehen lassen
- 2 cl Whiskey mit Fenchel
- 2 cl Roter Wermut
- 2 cl Kirschlikör
- 2 cl Orangensaft
- Alles zu gleichen Teilen mixen und servieren
Herbst-Drink 2: Paere
- 3 cl Aquavit
- 2 cl Birnenbrand
- 1 cl Bergamottenlikör
- 1,5 cl geklärter Limettensaft
- Prise Salz
- Alle Zutaten mixen, einen großen Eiswürfel ins Glas geben und anschließend Mix eingießen
- Mit einer getrockneten Birne garnieren
Du hättest gerne in jeder Woche einen neuen Drink, den du Freunden kreieren kannst? Dann ist unser Tipsy Tuesday genau das richtige für dich. Wir zeigen dir schon dienstags, womit es am Wochenende hoch hergeht. Solltest du nach Kräutern für deinen Drink suchen oder generell mehr über die Kräuterküche wissen wollen, schau dir gerne unser Interview mit einem Spicehunter an, der über die Mythen der Gewürzküche aufklärt.
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