Wir haben uns zu einem Gespräch mit dem Kresse- und Gewürzexperten Marcel Thiele getroffen. Er ist Business Development Manager bei Koppert Cress, ausgebildeter Küchenmeister und Chef Patissier. Zusätzlich hat er bereits 93 Länder der Welt bereist und ist im internationalen Rahmen Sondermitglied der Guilt of Chefs auf den Malediven und kulinarischer Experte Europas für das in Moskau sitzende Edelcatering VdR. Wow!
Wir waren eigentlich zu einem Interview verabredet, das sich um das Thema Kresse drehen sollte, doch bei dieser gebündelten Kompetenz haben wir dann einige Umwege genommen. So ging es zum Beispiel auch um nachhaltige Ernährungskonzepte, die vom 3-Sterne-Restaurant bis zur Kantine alles abbilden können und den Erhalt unserer Kochkultur. Auch die Kunst, mit den richtigen Gartechniken und geeignetem Food-Pairing wahre Kunstwerke zu erschaffen, hat mich besonders inspiriert und beeindruckt. Zum Schluss haben wir dann gerade noch die Kurve gekriegt, damit auch das Thema rund um die Kressen nicht zu kurz kommt.
EAT CLUB: Herr Thiele, vielen dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben. Woran arbeiten sie gerade?
Marcel Thiele: Ich habe ein Essenskonzept ausgearbeitet, mit dem jeder etwas anfangen kann, ob nun Veganer oder Fleischliebhaber und das zusätzlich auf Regionalität und Nachhaltigkeit setzt: die “Mother Earth Principles”
Das müssen sie genauer erklären.
Das ist ein wenig komplexer, aber gerne. Die Mother Earth Principles beruhen auf der Verwendung von 80 Prozent pflanzlichen und 20 Prozent tierischen Ursprungs. Das Gemüse sollte dabei regional und saisonal sein, bei den tierischen Produkten liegt es völlig im Ermessen der Köch:innen welches Produkt, sie woher beziehen. Zudem wird Wert auf eine Zucker- und Salzreduzierung gelegt.
Das klingt interessant.
Nehmen wir also beispielhaft einen Teller. Die erste Lage bildet ein Gemüse oder eine Knolle, die unter der Erde wächst. Textur und Verarbeitung des Gemüses steht dabei jedem Koch völlig offen. Es kann also ein Ragout, Püree oder Gel sein. Die zweite Schicht bildet eine knusprige Erde, diese kann aus Brot, Saatgut, Kokosnuss oder ein Sand aus Tapioka sein. Die dritte Schicht bilden immer Zutaten, die über der Erde wachsen, zum Beispiel auch Tierisches. Der Fokus liegt aber immer ganz klar auf dem Gemüse, die Pflanzen sollen der Hauptdarsteller sein!
Haben sie das Konzept bereits präsentiert?
In der Tat. Von Japan bis nach Kalifornien und auch bei Sterneköchen in Europa ist das Konzept auf fruchtbaren Boden gestoßen.
Im wahrsten Sinne des Wortes! Müssen die Schichten denn immer genau so abgebildet werden?
Es ist mehr oder weniger Zufall, aber auch Inspirationsquelle, dass man diese drei Lagen hervorragend abbilden kann. Es handelt sich dabei nur um eine mögliche Herangehensweise, das Prinzip ist aber so nicht festgeschrieben. Für mich hat sich aber herausgestellt, dass die erste Schicht meist einen knusprigen Gegenspieler in der Textur braucht und es sich daher so anbietet. Wichtiger ist die 80/20-Einteilung. Die Geschmackshoheit ist ganz klar die oberste Prämisse. Es soll auch kein plastischer Blumentopf sein. Das Gericht muss schon Spaß machen und einen Wow-Effekt haben.
Es geht also um Fleischreduzierung und mehr Ausgewogenheit?
Genau! Das Schöne ist, dass sich die Mother Earth Principles auf jedem Level abbilden lassen. Vom Sternekoch bis zur Kantine. In Budapest beispielsweise hat ein Freund einen Kartoffelstampf gemacht, darauf Malzbroterde und obendrauf ein paar Gemüse- und Hähnchensticks. Die Kantine war so voll wie noch nie. Es geht nicht nur um mehr Balance, sondern auch darum, dass wir akzeptieren und respektieren, das derzeitige traditionelle Gerichte eine Weiterentwicklung brauchen, um unsere Kochkultur nicht zu verlieren. Das Ziel sollte es aber nicht sein, einem traditionellen Gericht wie Würzfleisch einen rebellischen Kontrast ohne Fleisch gegenüberzustellen und aus dem Würzfleisch das ganze Fleisch wegzunehmen.
Haben sie Angst, dass die deutsche Kochkultur verschwindet?
Wir haben so viele tolle traditionelle Gerichte, nur diese müssen weiterentwickelt werden, sonst verlieren wir unsere Kochkultur. Wie viele Gerichte kennen wir selbst noch, die vor 20 Jahren auf den Speisekarten standen und fest mit unserer Kultur verwurzelt und verankert sind. Wer hat sie weiterentwickelt und wo sind sie letztendlich hin?
Alle sehnen sich nach mediterranen Gerichten oder asiatischer Küche, aber keiner fragt sich, warum eigentlich. Ganz einfach, weil es harmonische Zutaten sind, die unserem Körper guttun. Nicht nur, weil sie schön aussehen oder skurril sind. Sondern weil das ständig ausgefeilte und immer weiter ausgearbeitete Rezepturen und kulinarische Welten sind. Wir alle haben eine Verantwortung, über unsere Esskultur nachzudenken und sie zu fördern. Deswegen machen wir uns bei Koppert Cress auch immer auf die Suche nach authentischen, traditionellen Geschmäckern, immer mit dem Fokus auf die Gesundheit.
Welche Geschmäcker haben sie zuletzt nachhaltig beeindruckt?
In einem Spitzen-Restaurant in Brüssel habe ich mit dem dortigen Küchenchef aus einer Wassermelone ein Thunfisch-Sashimi kreiert.
Inwiefern?
Mittels Marinade, Sous-vide-Gartechniken und dem richtigen Food-Pairing. Wir haben die Wassermelone mit Traubenkernöl, Salz, Saft aus roter Bete und aufgemixter Atsina- sowie Melissakresse vakuumiert und anschließend für 2,5 Stunden bei 82 Grad ins Sous-vide-Becken gegeben, anschließend herausgenommen und abgetropft und dann für zwei Tage in den Froster. Im Auftauprozess hatte es dann die Textur und den Geschmack eines Thunfisches. In ein Shiso-Blatt eingewickelt und mit etwas Ponzu-oder Sojasauce war die Illusion perfekt.
Das klingt ja unglaublich spannend.
Ja, total. Ein weiteres Beispiel ist aus dem White Rabbit in Moskau. Hier haben wir aus Kokosmilch einen Lardo (italienischer Rückenspeck) hergestellt. Mittels geräuchertem Knoblauch, den richtigen Kressen und Agar-Agar. Diesen konnte man dann auch wie einen Lardo an der Aufschneidemaschine hauchdünn runterschneiden und einige Gäste sagten tatsächlich, dies sei der beste Speck, den sie je gegessen hätten.
Das ist ja total irre.
Man kann das auch biochemisch nachvollziehen. Die Kokosnuss reagiert mit dem Allicin aus dem schwefligen Knoblauch und dieser übernimmt, sodass man genau diesen speckigen, rauchigen Geschmack hat und zusammen mit den richtigen Kressen schmeckt es einfach genial nach Lardo.
Versuchen sie immer alles genau biochemisch nachzuvollziehen?
Ich bin ja nicht nur Koch, sondern auch Experte für die gesundheitliche Wirkung von sämtlichen Wirkstoffen. Mich interessiert vor allem immer, warum Menschen überhaupt Gewürze, Kräuter, Blüten, Blätter, Kressen, Wurzeln und sonstige Pflanzenteile in ihren Speisen einsetzen. Es soll den Menschen nicht nur schmecken, sondern auch guttun.
Und dieses Wissen bringen sie dann bei Koppert Cress ein?
Definitiv! Dieses geballte Wissen zusammenzubringen und es den Köchen zu offerieren, ist genial. Im Sinne von: Hast du gewusst, dass man das essen kann? Oder in dieser und jener Kultur isst man das, um sich vor Krankheiten zu schützen.
Wieviele Kressen haben Sie aktuell im Sortiment und wo kommen diese her?
Aktuell haben wir etwa 35 Kressen und etwa noch mal so viele pflanzliche Spezialitäten wie beispielsweise Küstengewächse. Wir haben 16 verschiedene Standorte auf der Welt und sind die einzigen weltweit, die auch die Samen selbst produzieren. Soll heißen, die Samen kommen von der Mutterpflanze aus dem Land, wo sie auch endemisch wachsen, zu uns nach Europa. Sie sind also nie genetisch verändert oder manipuliert. Hier werden sie dann in unserem Greenhouse unter höchsten biologischen und nachhaltigen Maßstäben unter Ausschluss natürlicher Feinde herangezogen.
Gibt es zu jeder Pflanze eine Kresse oder wie müssen wir uns das vorstellen?
Nein. Es gibt botanische Kressen, das sind Pflanzen, die genau so in der Natur wachsen. Hierzu zählen zum Beispiel die Garten-, Kapuziner-, oder Brunnenkressen. Und dann gibt es bei uns Kressen, die gewissermaßen das Wachstumsstadium einer Pflanze abbilden. Tahoonkresse ist zum Beispiel ausgewachsen, ein bis zu 25 Meter hoher Baum, letztendlich eine Mahagoni-Art. Scarletkresse ist eigentlich eine spezielle Amaranth-Sorte.
Wofür steht der Slogan “Architecture Aromatique” in ihrem Unternehmen?
Architektur steht für die Unantastbarkeit der Natur und Aromatik ist das Dankeschön, das die Natur zurückgibt. Nicht nur geschmackliche Aromen und Geschmacksträger, sondern eben auch gesundheitsfördernde Inhaltsstoffe.
Sind die Kressen so gesund?
Auf jeden Fall. Unsere Broccokresse hat beispielsweise 90-mal mehr Sulforaphan als Brokkoli selbst. Wer sich ein wenig mit Viren- und Krebsbekämpfung auskennt, kommt gar nicht an Begriffen wie Sulforaphan, Cumarin oder Molybdän vorbei. Unsere Kressen sind quasi bioaktive Reparaturbomben für den menschlichen Organismus.
Gesund und lecker. Eine optimale Kombination! Vielen Dank für dieses Interview Herr Thiele.
Du möchtest noch mehr über Kressen erfahren? Dann schau doch auch mal in unserem Kresse-Glossar vorbei und erfahre, was es alles für Kressen gibt. Neben den Kressesorten gibt es auch viele verschiedene essbare Blüten und Pflanzen, von denen du bestimmt noch nichts gehört hast. Und wenn du diese kandieren möchtest, kannst du in diesem Beitrag nachlesen, wie das funktioniert.