Wir treffen uns bei schönstem Herbstwetter am Rande der Wuhlheide. Das beliebte Naherholungsgebiet im Osten Berlins ist Heimat einer eigenen Park-Eisenbahn, einer Open-Air-Bühne, eines riesigen Freizeitzentrums – und zahlreicher wilder Kräuter. Viele von ihnen kann man essen, zu Sirup oder Salat verarbeiten oder zum Würzen von Speisen verwenden. Man muss nur wissen, welche genießbar und welche giftig sind. Aus diesem Grund habe ich mich für die heutige Kräuterwanderung in Berlin angemeldet. Zu der begrüßt uns jetzt Tourguide Laureen vom Verein “Waldsamkeit”.
Giftig oder genießbar? Der Teufel steckt in vielen Details
Laureen ist ausgebildete Gemüsegärtnerin, ihr Interesse für wildwachsende Kräuter wurde auf einem ökologischen Biohof geweckt. Dort wuchsen allerlei Pflanzen als Beikraut auf den Feldern. Laureen sammelte sie kurzerhand ein und begann, sie als Sträuße auf dem Wochenmarkt zu verkaufen. Uns rät sie an diesem Tag jedoch davon ab, in der Nähe von Ackerflächen zu sammeln, da in der konventionellen Landwirtschaft Pestizide eingesetzt werden, die sich auch in den Wildkräutern anreichern. Dieses und weiteres Wissen lernte Laureen während ihrer Heilpflanzenausbildung und gibt es heute nicht nur in Workshops zu verschiedenen ökologischen Themen weiter, sondern auch während geführter Kräutertouren.
Die Gruppe, die an der heutigen Kräuterwanderung in Berlin teilnimmt, ist bunt gemischt. Eine dreiköpfige junge Familie ist ebenso dabei wie zwei Freundinnen oder ein Pärchen mit Wurzeln in Australien. Insgesamt sind 14 wissbegierige Teilnehmende zusammen gekommen, und es geht sofort mit einer kleinen Aufgabe los. Laureen teilt uns in zwei Gruppen: Die eine Hälfte soll drei Pflanzen sammeln, die genießbar sind. Die andere Hälfte muss drei giftige Kräuter finden. Wir merken schnell: Das ist gar nicht so leicht. Woran macht man fest, ob ein Kraut gut oder gefährlich ist? Wir entscheiden uns unter anderem für eine hochgewachsene Pflanze mit großen Blütenständen. Für uns eine klare Giftkandidatin – zu Unrecht, wie sich kurze Zeit später herausstellt.
Nach etwa zehn Minuten wertet Laureen, die zuletzt an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde Landschaftsnutzung und Naturschutz studierte, unsere Fundstücke aus. Das Ergebnis: Fast jede der gepflückten Pflanzen ist essbar. Aber: Um bei der Bestimmung auch wirklich sicher zu sein, reicht es nicht, einfach ein Blatt abzupflücken. Laureen empfiehlt, immer das gesamte Kraut zu betrachten, denn Blätter sehen sich häufig ähnlich. Ein gutes Beispiel ist Bärlauch, der dem Maiglöckchen optisch sehr nahe kommt. Während Ersterer genießbar und tatsächlich auch sehr aromatisch ist, kommt es beim Verzehr von Letzterem zu Vergiftungen. Daher sollte man immer auch Blüten und Wurzeln zur Bestimmung heranziehen.
Gut zu wissen: Wie bewahrt man Kräuter am besten auf? In unserer Kochschule haben wir Tipps und Tricks gesammelt.
Bei Wildkräutern nicht nur auf Apps verlassen
Apps, die bei der Identifizierung von Gewächsen auf einer Wildkräuterwanderung in Berlin helfen sollen, sieht Laureen von Waldsamkeit lediglich als Unterstützung und nicht als alleinige Bestimmungshilfe. Zwar könnten sie einen ersten Anhaltspunkt geben, sie rät aber, immer mit einem Kräuterführer, etwa einem Sachbuch, auf Nummer sicher zu gehen und den Fund spätestens zu Hause nach zu bestimmen. Ein weiterer Vorteil von Büchern: Man setze sich viel intensiver mit einem Kraut auseinander, lerne mehr über seine Merkmale. Bei einer App macht man ein Foto, bekommt sofort ein Ergebnis “und wird die Pflanze höchst wahrscheinlich schnell wieder vergessen”, vermutet Laureen.
Unsere hochgewachsene, vermeintliche Giftpflanze entpuppt sich als Nachtkerze – und als echte Delikatesse. Ihre Blätter könne man wie Spinat verwenden, die Wurzel schmecke ähnlich wie Kapern, und die Samensäckchen verwende Laureen wie einen Salzstreuer, um Butterbrote zu würzen. Die Gruppe erfährt: Oft kann man von einem wilden Kraut nicht nur einen Teil, sondern im Prinzip die gesamte Pflanze verzehren.
Ausnahmen bestätigen auch bei wilden Pflanzen die Regel
Auf unserer Wildkräuterwanderung in der Berliner Wuhlheide begegnen wir als Nächstes der Schafgarbe, die mit der Kamille verwandt und deren Blüte ebenfalls entzündungshemmend ist. Die enthaltenden Bitterstoffe der Blätter wiederum wirken entkrampfend und entblähend. Als wir dann am Löwenzahn vorbei laufen, kommen wir zu den berühmten Ausnahmen, die die Regel bestätigen.
Kurz zuvor erklärte unsere Tourguide nämlich, dass sogenannte Wolfsmilchgewächse in der Regel giftig seien. Man erkennt sie daran, dass sie einen weißen Saft freigeben, wenn man etwa ein Blatt oder einen Stiel abbricht. Wer schon einmal Löwenzahl abgerissen hat, um die Blüten in den Wind zu pusten, weiß: Auch er führt den leicht klebrigen Milchsaft. Aber Löwenzahn ist nun mal essbar. Er enthält Bitterstoffe, die gut für Magen und Darm sind.
Seine jungen Blätter machen sich gut in Frühjahrssalaten, die den Stoffwechsel ankurbeln sollen. Seine Wurzeln werden sogar als Kaffeeersatz genutzt – ein echter Alleskönner also und trotz Milchsaft eben nicht giftig.
Wildkräuter sammeln – aber mit Bedacht
Gleich neben dem Löwenzahn wächst wilder Rucola, und zumindest den haben wir alle erkannt, denn er sieht seinem gezüchteten Verwandten wirklich ähnlich. Während uns von dem allerdings immer nur die Blätter zum Kauf angeboten werden, erfahren wir über die wilde Variante: Man kann auch Samen und Blüten verzehren und damit beispielsweise Frischkäse aufpeppen. Und auch Gundermann (kann man gut in dunkle Schokolade tauchen), Spitzwegerich (perfekt für Erkältungstee oder Risotto) und Hagebutten (ergeben einen leckeren Essig oder Sirup) entdecken wir am Wegesrand.
Bei so einer großen Anzahl an essbaren Gewächsen kommt uns während der Kräuterwanderung in Berlin irgendwann die Frage: Wie viele Wildkräuter darf man eigentlich sammeln? Laureen berichtet, man solle bei einer Tour nie mehr als einen Handstrauß pflücken. Diese Menge reiche für den Eigenbedarf. Entdeckt man ein Kraut, das an dieser Stelle nur einmal wächst, lasse man es lieber stehen, um den Bestand dort nicht zu gefährden.
Auf einer Kräuterwanderung in Berlin und anderen Städten solle man außerdem darauf achten, dass mindestens zehn Meter zwischen Fundort und Straße liegen. Auf ehemaligen Industrieflächen empfiehlt Laureen das Sammeln nicht, ebenso in direkter Nähe von Bahntrassen. Und auch, wenn am Wegesrand aufgrund besserer Sonneneinstrahlung vielleicht größere Mengen wachsen als ein Stück in einen Wald hinein, lohne es sich, ein wenig abseits viel frequentierter Spazier- und Wanderwege zu suchen. Dort sei der Einfluss des Menschen geringer – sei es in Form fallen gelassenen Mülls oder Hundehinterlassenschaften. Generell gilt: Wildkräuter sollten immer gewaschen werden, gern mit einem Schuss Essig im Wasser.
Auch spannend: Kennst du schon unser Kochbuch der Woche “Wildkräuter“? Wir haben für dich einen Blick ins Buch geworfen.
Mehr Mikronährstoffe und sekundäre Pflanzenstoffe
Laureen selbst gehe nie gezielt auf eine Wildkräuterwanderung in Berlin. “Ich sammele Pflanzen, wenn ich sowieso schon auf einem Spaziergang bin. Wenn ich etwas entdecke, was ich gebrauchen kann und sofort einen Verwendungszweck weiß, nehme ich es mit.” Zu ihren Lieblingsgewächsen aus freier Natur gehören Hagebutten, die sie zusammen mit Weißdorn zu einem Essig verarbeitet. Welchen Vorteil sieht sie in wildwachsenden Kräutern gegenüber Kulturpflanzen, die man im Supermarkt bekommt?
“Natürliche Kräuter besitzen mehr Mikronährstoffe und sekundäre Pflanzenstoffe. Bei gezüchteten Pflanzen sind die ein bisschen hinten runter gefallen.” Mit diesem Wissen mache ich mich auf den Heimweg und überlege, welches Rezept ich wohl als Erstes mit meinem Strauß wilder Kräuter ausprobiere. Eines steht fest: In die Wuhlheide komme ich zum sammelnden Spaziergang gerne wieder.
Übrigens: Unsere Rezepte gibt’s auch in der App – einfach downloaden!